Dreimalwöchentliche Union (Galveston, Tex.), Vol. 8, No. 30, Ed. 1 Thursday, January 4, 1866 Page: 1 of 4
four pages : ill. ; page 17 x 12 in. Digitized from 35 mm. microfilm.View a full description of this newspaper.
Extracted Text
The following text was automatically extracted from the image on this page using optical character recognition software:
OttimaMcbctttlidic Union.
itfX AS STATfc iilRIIARV
l^ter 3<>Na% 30.
©altteflott, $esa$.
Austin, Texas
£<tufettfte stumme* 498«
T>ic tötie&fafie.
(Eilte fflef<j}U&te au« ben bBbmiföett firagebirfle,
gortfefeung.
©o waten fünf 3<ih« ergangen; ber SBäUe-
^ipaus-Antou war ergeffen, Der Meter fymnes
ein retßer Mann gehörten« gürj ben intern
trieb nun Der Munbl tas 3legelbedergewerb.
X)aö ging iefet gur gejegneten grtebenSgeit drei-
mal fo gut als oorbem, unt> ber Tuntel war
ein realer 3iegelbeder, ber einen Meierhof bed-
te, wähtenb ein Unterer mit einem fcäuslers-
baß fertig würbe. Dabei mar er ein boßgewaß-
fener, fetner unb ftnnretßer ©urfß, bem gu
fteb mapße fßrnude Dorfbirne eine ©tunbe
weit ins Ofterwaffer lief, um noß fßmuder gu
werben. Aber wenn fie alle mit einanber noß
fiberbem ber heiligen Mutter ©ottes oon Marla-
febein ein wäßfernes £erg fo groß wie bie Mut-
ter ©ottes felbft gelobt hätten, es wäre umfonft
aewefen, benn bes Munbels J£>erg hing [Aon
feit an ber SToßter bes fcegers bort oben im #e-
gethaus, bas fo golbgelb aus bem lannengrän
heraus-unb htnüberfßaut naß ben fßwargblau-
en ftegeln bed Mittelgebirge.
Die Sttefentannen, bie bas $egerhauSbefßat'
ten, brausten ein gut ©tüd 3*it< ebe fie wur-
ben, was fie ftnb, biet Menfßengefßleßter mö-
gen |1e wohl überlebt haben, aber es fönnen
wohl ebenfo Otel fertefee Sannengefßleßter er-
geben, ebe Wieber etn SßetbSbtlb in ihrem ©chat-
ten jung wirb, wie bie ftegerhaus Marie war,
itämliß fo fßon runburn unb fo munter. es
bat ©ott Sob biet gu ©ebirg feinen Mangel an
feinen SßelbSbilbern, unb ba brüben im Mit-
telgebirg bat1* noch feinere; aber wenn jefct bie
SEepltfcer ©ä|"te, bie mehr ben böbmtTßen Ma-
beln gu Sieb fommen, als ©abens halber, ba
brühen um ben Milefßauer herumfßwärmen,
fo famen ihrer iele bamalsnaß©rünwalt, um
ftß on ber fßönen Marie unter ten alten San*
nen eine Mild) etnbroefen unb bafür manchen
guten ßwanjiger ftfjen gu laffen. Jfeln Sßun-
ber, wenn auß ber 3tt5äUe-$flUS Munbl, ber
tas $egerhaus fo nah or Augen hatte, fich in
fein StaßbarSftnb vergaffte. Unb ber blanfe
©urfß hätte auß wirfliß, wie er meinte, Gim-
mel auf ber Sßelt mit thr finben mögen, wäre
fie fo bra gewefen, wie fie fßön war, 3war
war fie ihm an #ergen gut unb hatte flß ihm
in fttUer Slebfßaft verlobt; aber wenn er brau-
sen im ©aßfenlänbel feinem ©ewerb naßglng,
erhielt fie fich nicht nach ihm, fonbern lief fich
von ben fremben <ötu&ew, bie in« £egerhaus
gur Milch famen, gar gu gern ben #of maßen,
wenn fie fie im ©runbe auß nur gum ©eften
hatte. Denn baß fie fßön war, brauchten ihr
ote ©eden nicht erjt gu lagen, unb übrigens
war fie gu gefßeut, um ni^t aO ben feinen Ste-
t>ensarten unb Siebesfßwüren, bte ihr oorge-
sjirrt würben, auf ben ©runb ju feben. ©o
hütete pe fl^ wohl or einer Jhorheit, bie mit
©chlmpf unb ©c^anbe für fie hätte enüen fön-
nen, unb alö ihr Munbl jur Äirchweib heim-
fehrte, meinte fie, fie lönnte mit gutem ©ewtffen
fiÄ fein treues Mätdjen nennen.
war an bem 3lbenb, wo im SBirtbähauä
unten ber Seihtauf über'd üllothegut getrunlen
würbe, als ba$ junge 3>aar unter ben Sannen
fein SBieberfehen feierte. Der ^eger war jum
Sethtauf gelanen unb bte Mutter Jpegerln be-
fugte eine att Seeunbin im Dorfe; fo war
tas iunge SBoll re^t ungeßört. Munbl war
glücIUch gewefen, er hatte auf fäd)flf<hen (Jcel-
höfen uortrefflid e Slrbeit gefunben unb etn gut
©tüc! ©elb mit heimgebracht. 9toch eine folebe
Steife, unb er burfte bretft or ben $eger treten
unb um bie Sodlter werben. Darum hatte er
faum feine gute Mutter begrüfjt, |o hatte 'fein
hüpfenbeS 5>er* ihn hinübergetrieben ins ^>e-
gerbauS, benn er hatte wohl gefeben, wie ber
^eger ins Dorf hinabgegangen war. Unb nun
faß er bei bem Abgott feines $enens unb hielt
ihn umfdjlungen, unb flüfternb bauten fie mit
einanber eine ganje ©tabt von bräutlichen Suft-
Khlöffern. Stur wer einmal in regtet Men-
fchenwets gefreit hat, ber weiß, wie es ba \)tv
geht; man oergißt Gimmel unb Srbe unb alles
nur nicht, baf man ein #erj hat. ©o war'S
aud) bei biefen jwei Siebesleuten. ®s warb
9tadjt unb fie achteten es nid)i, ber Monb ging
über bem ©d)neeberg auf unb fie faben ihn
unb fie hörten fie nicht. 2luf einmal abe(
f«hrec!te fie ein geüenbeS ©elächter aus ihrem
ftaufcb* SBetue fchauten auf unb jähen nur
wentg Schritte oor fidh eine bunlle Männerge-
fialt. Munbl wollte auffpringen, aber Marie
hielt ihn jurüd unb flüjterte: „©leib l er fann
uns ni^t fehen—es tft nur ber evfoffene glur-
fchüfe ser wirb beim Sethtauf gewefen fein." @o
Hieb Munbl ruhig*
„SufHg gelebt unb feiig gejtorben, heißt bem
leufel bie 9te<hnung erborben—bababa l" lallte
unb la<htc ber glurfchüfe or fich bin. „Suftige
Sßelt l ©chöne Sßelt l bahaba! @rft ben Sater
um bie AriegStaffe unb um's Seben gebracht unb
nun ben ©obn um's Siebten—hahaha l SuiU-
ge Sßelt! ©dböne Sßelt l" Unb weiter taumelte
ber Srunfenbolb.
„Söas war bas ?" pjierte Munbl — „halt bu
gehört, was ber Jpannaugl fagte ?"—Marie git-
terte wie ein Sfpenblatt. bo^ fagte fie: „51 d>,
auf ben ©aufaus muß man nl^t achten!"—
,/ilbet bu gittert—unb mir ift bie fchredlidhe
.vlebe burch Mar! unb ©ein gefahren, mir fiel
gleidh etn, wjS er fd)on gegen meine Mutter hat
faden laffen."
M, laß ben Srunfenbolb l ®s ift bod) lein
©Inn tn feinen 9leben> Äomm, lüß mich!"
Unb fie fchlang ihren weichen 2lrm um feinen
Waden unc hi«fl flß att feinen Munb. — Da
vergaß er fctyneU allen ©raus unb fetig flafterte
er: „Webt wahr, bu btft mein lieb'S Sräutle,
wenn auch ber reidhfteMann um bich freite,
ieUefl bod) fefl an belnem Munbl ?" — 3 1
ort hing fie fid) aufs neue an feinen
Jib.
fittl erwelle taumelte ber Slurf^üb bem
leh^us ju. Srau ©aber, fo hiep Mnnbls
Mutter, faf noch am Steden unb fpann. 3hre
©ebanten waren bei ihrem ©ohn. Das gutb
Muttetberj nahm es nicht übel, baß er ihr nur
einen fuUbtigfti ©ruß gegönnt nach |o langer
Trennung unb bann gleid) ju feinem Mäbchen
geeilt war, wo er nun fchon ein paar ©tunben
weilte. „Sßenn er nur recht glüdltd) mit ihr
wirb!" bachte fie unb war nicht etfertüchtig auf
bas fd>öne Mäbdiett, bem fie ben ©obn hinge'
ben mußte. Da rief eine gurgelnbe ©timnte
jum genfter herein: „©uten iubenb, S3abet!
—'S ift eine luftige Sßelt — eben wirb (Eures
©ohns ©chafel terbflubelt.—üDBenn er helm-
lommt, fagt ihm, er foll fich's gefcähwlnb noch
fefi machen—heut über vier Sßochen bürft'S ju
fpät fein — fdjöne Sßelt, Injtige 393elt! Der
Muntl foü fid) fein Ma'ol fejtmaihen — gute
Stacht, 53abet!"
Die grau ließ £anb unb guß ftiUjteben—
fie wenbete ihr blaffes ©efldjt nach bem genfier
unb fab ben gottigen Äopf beS glurfdhüfeen eben
bavor erfchwinben. „4 annaufll l" rief fie auf-
fprtngenb, „^annaugl!"
Da fiel etn ©d)uß—etn gräßlicher ©dhrei gell-
te burd) bie Sta^t — bann folgte ein bumpfes
Sßtmmern.—grau $3abet ftanb einen 2lugen-
blid tobtenflarr; bann eilte fie hinaus, ©erabe
öor bem ipaufe war ber gabrweg na^ bem ab-
gelb an jwei eilen bod) untermauert.
on biefer Mauer war er glur|d)üfe htnabge-
ftürjt unb lag rödjelnb in feinem 33lute. Der
(S3<hu§ hatte auch bte Siebenten aufgefdjredt.
<^ie famen faft jugleid) mit grau Sabet an ber
UnglüdSiteUe an. Mit flarfem Slrrn hob Munbl
ben röd)elnten Mann auf unb trug ihn ins
$>aus. Marte fwang f^nefl ftts Jägerhaus
nach tropfen—aber tbre Mühe war umfonft.
Der ©ebuß ber betmgall losgegangenen glinte
war bem glut|djüfjcn ins ©ehirn gegangen-
er ftammelte noi^ bie Sßorte: „55ater—Äriegs-
faffe—©rünbelwether"—unb hauchte fein Seben
aus.
a*
„3<h war bamals ©erid}tsfd)öppe"—berichtete
unfer ©ewehrSmann weiter—„unö fo mußte ich
mit beim Seibfauf fein, gumal unfer Stifter
nicht gut mit ber geber ju gad) fam. @3 ijt
nie wieber etn Setbfauf bei unSgetrunfen wor-
ben wie biefer. Der Meier Cannes, ber fonft
fo beutelfaul war, ließ es bei ber ©elegenheit
an nichts fehlen. @r war bamals ein Mann
on 37 3ahrcn, aber er fab älter aus, nicht nur
wegen feiner ©roße unt ©reite, fonbern auii
wegen feines gefegten Sßefens unt ber gälte,
weld)e bte ©ewobnheit beS DtecbnenS unb ©rü-
belns über feine ©ttrn gegogen hatte, ©o laten-
ten wir ihn feit 3abren, unt es war unö, als
bätte er nie anters auSgefeben, felbft in feiner
3ugenb ntd)t. Slber eigentli^ hatte er wobl
feine 3ugenb gehabt; td) glaube nid)t, taß er
einen $anjboben in anberer Slbfi^t befucht, als
um ©elb ju erbienen, unb icbwerlid) bat er
etn grauenjlmmer anters angelächelt, als uenn
es ihm etwas abfaufte. Dann fonnte er frei-
lich febr artig |etn. 9lun hatte er eine große
Sßirtbfcbaft gefauft unt noeb nicht einmal eine
Sßirthin. „Die ber freien foü, muß im ©olb
fi^en bis über tie Obren," meinte lebe Dirne
tm Dorfe, unb feine bütete ein, bem Meier
ipannes ju gefallen, ©onterbar! gerabe in
tiefem $unft hatte fi^ ietermann im Dorfe oer-
rechnet, unb ter retebe Sßirth unb ^oljhänbler
©tein bon Äoften mit feiner grenabiermaßigen
Tochter baju. Ss war eigentlich fpaßhaft, wie
ter alte Jtauj abfiel. (£r war au^ mit beim
Setbfauf unb tranf bem Cannes einmal über
ba« anbere ju.
„Slls nun ber ©utshanbel im Steinen war,
brad) ber ©tein aus: „Stun £err Cannes, eine
9ßirthfd)aft habt 3hr, iefct fehlt nur nod) eine
SBlrthin—ohne Sßtrthin geht'S mit ber großen
3ßirthf<haft nicht!"—„Meint 3hr?" fagte ber
Cannes; „nun 3hr fetb ein 3)raftlfus unb fönnt
recht haben ; ich werb'mir eine julegen muffen."
—„@elt!" pel ber ©tetn ein—„ia, 3hr feit
ein Mann von einficht, unt bie 3lusß<hten
fint auch gut, ein ieber S?ater wirb Such gern
feinen Öcibam nennen."—,,©o?" üerfefite ber
Cannes fchmunjelnb, reichte tias ©las bem $e-
ger unb fagte: „SßaS meint 3hr baju, 9?ad)bar
im ©rünen ? Sßürbet 3hr mid) gern (Suern ®i-
.bam nennen?" Sßir flauten alle auf unb
meinten, er fage bas nur 3um ©paß. Der $e-
ger meinte es aud) unb fprad): „gragt nur ben,
ber hoffen barf, einen folgen fettenSochtermann
ju befommen. ©erfleht recht l"—Da fchlug ber
Cannes auf ben Ilfd), baß bte ©läfer unb gla-
fchen in bie #öbe fprangen. „Starrenspoffen I"
fchrle er; „td) weiß mir ©elb $u erbienen,
braudj'S niatju erfreien! 3m Srnft, Slachbar
$eger, Sure Marie wirb {mein Sßelb ober feine
—wollt 3hr fie mir geben, fo fchlagt ein !" Der
©tein ma^te ein ellenlanges ©eficht, wir ?ln-
bern faben etn anber an—unb eh' wlrs' uns
erfahen, war ber fcanbel gwifchen bem 5>eger
unb bem $annes ßef^loffen. Dabei war bev
glurfd)ü$ zugegen gewefen, unb bas hatte ihn
fort unb nach tem SßäderhauS getrieben, wo er
ein fo iähes ®nbe fanb.
„@s tft mir, als fäh' i(h eben ie^t ben Munbl
tobtenbleicb in ite ©^anfftube treten unb uns
©ertd)ten bie graufige Mär melben. Sldes, was
ba um ben ©djänfttfd) faß, fprang entfefet auf
—nur ber Meier Cannes ni^l 5 ber fließ einen
tiefen ©eufjer aus, wie einer, bem eine |d)wcre
Saft om bergen fällt, fd)lug bH $>änbe jufam-
men unb ftarrte or fid) hin „$abt 3hr'S ge-
hört, bee glurfdjüt) hat ft(h erfchoffen !" rief
tm bee ©eger ju 5 „wollt 3 r nidöt mtt gehen
ihn 3U befehen ?"—„®ebt nur, geht!" fagte ber
Meier Cannes 5 „es greift ml# 3« fehr an-
bringt ber Marie meinen guten ?lbenb—mor-
!tg
gen fpred)1 td) ju."
gortfefruna folgt.
Stabat mater.
Sßenn man bie lebhafte unb gcwerbreiche©tabt
Stevers erläßt unb bie Soire aufwärts wanbert,
0 gelangt man balb 3U bem fletnen, auf einer
eiligen Jjnfel gelegenen ©tättchen Dectfe, bef-
en re<3ente Umgebungen ju weiteren SluSflü-
en in bie romantifche ©egenb Perioden. Man
üefteigt bas alte, früher ben fr^ögen Sievers ge-
börenbe, jefet gum Xhetl verfallene ©^l ß, bef—
fen guß von ben flaren gluten bes Slvon befpült
wirb, währenb feine Shürme bie weitefte unb
herrlichfte gernfiebt gewähren, ©on bort über-
bltdt man tas fdjöne belebte Sbal ber Soire,fleht
tn bas §äufergewtrr von Decife, unb am fernen
weftlichen #ort3onte tte Ihürmevon SteverS em-
porftetgen. Den lebhaften Serfebr auf bem
gluffe verfünben bie vielen weißen ©egel,
welche aus ieber feiner malerifchen Sßintungen
berauf leuchten, unb bie überall aus ben fcblan-
fen, hohen ©d)ornftetnen aufjleigenten Staud)-
fäulen, wel^e wie bunfle gäten ben blauen,
heiteren Gimmel turd ieben, 3etgen uns, baß
tie ©eweebthätigfett biefe lad)enben gluren ju
einem ihrer Siebüngsfl&c ertoren hat.
Sßenben mir ben ©lid von bem weiten, be-
lebten Ihale ber Soire unb folgen bem Saufe beS
Slvott-.fo leben wir unfern von uns,ba wo bie©erge
enaer jufammenrüden unb bem fcpäumenben
gluffe nur einen fdjmalen unb tief etnge|chnltte-
nen Sßeg übrig laffen, burd) weißen er, rafcl)
unb od ©ehnfucht nad) ter fchonen Soire babin
eilt, ein weltläuftigeS unb anfebetnenb regello-
fes ©ebäube, oterOielmehr eine Menge erfebte-
benartiger ©ebäube, bie 3U einem ©anjen oerei-
nigt, uns fchon turd) ihr ^leußeres über ihren
3wed ntdht tn 3welfel laffen. Sßenn wir aber
aud) un ben rauchenten Sffen unb ben bumpfen
bis j.u uns herübertönenben ©chlaaen ber Läm-
mer 'erfeanen, baß hier ber alte ©ott ©ultan
feinenSßohnfi^ aufgefd)lagen hat, (ofpüren wir
boß balb, baß er biefe ©tätte erjt tn ©efifc genom-
men, nachbem fie lange anteren ©öttern tienjt-
bar gewefen. Unb tn ber Sbat finb bie eifett-
werfe von ©erneuil in bem alten ©tammfchloffe
ber ©rafen ieneS Stamens errichtet, welche ba«-
aus turd) bie 3eit unb bie fteiaente Macht ter
3:ibuftrie unb tes kapitales verbrängt würben,
ffiir wollen aber um 70 3abre jurüdgeheit unt
von bem bamals noch wohlerhaltenen ©ditoffe
ber $er3Öge oon Steoers nad) bem ©chloff - ter
©rafen oon ©erneuil hinüberbliden. Die tfro
be reggeQoS umgebenten Defen unb Sßerfftät-
ten, gierte im 3abre 1786 ein ftattliches ©chloß.
Obgleich in tenem ©tlle gebaut, welcher tie ®e-
fchmadlofigfeitc.t ©erntniS in granfreid) mit
befonterer SJorliebe fottbilbele unb fid) irffcrjuaS-
weife in edigen gormen, ©chnörfeln unt baro-
den ©erjterungen gefiel, gewährte bas ©d)loß,
vielleicht grabe befhalb, eine höchft malerlfcbe
Anficht, welche noch burch ben baffelbe umgeben-
ben weltläufttgen $)arf erhöht würbe, teffen hohe
fchattlge ©äume fich bif in bas felfige Ihal beö
3loon binunter30gen.
Sßir wollen uns mtt biefer oberflächlichen 2ln-
fichttes ©djloffesunb feiner malerifchen Umgeb-
ung begnügen unb mit ber uns iuftehentengrei-
beit unangemeltet in eines fetner olelen ^im-
mer treten. ®S tft ein nicht großes, aber hohes
unt fonnigeS ©emad);bie ganje etnrlchtunfl
31'igt uns, baß es ber Aufenthalt eines weiblichen
Sßejens ift, teffen Slnorpnungeti unb finniger
©efebmaa überall erfennbar. Um uns tarüber
ieben 3weifel gu benehmen, fehen wir bie ©e-
wohnerin felbft, ein iunges Mäbchen oon fünf-
jehn 3abren, am Älaoiere ft^en unb unter ber
Anleitung ihres tSebrerS ein fchwleriges Muflf-
ftüd oortragen, bem ein alter Mann aufmerffam
3uhÖrt.
Der Severe ift ber ©raf oon ©erneuil, unt
tas junge Mäbchen feine $od)ter, Marguerite
ober Margot, wie fie genannt wurte. Der ©raf,
in ter Mitte ter fed)3ig, oon fleiner, aber noch
immer wohlerhaltener ©tatur, mit lebhaften
unt leicht beweglichen 3üge i, gibt in fetner gan-
3en (Srfdjeinung bas ©ilt eines franjöfifchen 3trl=
ftofraten ber bamaligen3eit, mit all feinen geh-
lern unb Sugenben. Stach einer giemlich aus-
fd)roeifenb am ^ofe Sutmtg XV. oerlebten 3u-
gent hatte fid) ter ©raf, fo unwahrfchetnlid) ties
aud) Hingt,nod) in feinemoierjigften3abre ernft-
lid) verliebt unb war bann mit feiner iungen
grau, vor ten eigenen greunben unt ©enoffen
fliehenb, nach ©erneutl gebogen, wo er, gum
Ihell überfättigt von ten ©enüffen tes §ofeS
unb ber $auptftabt, in länblid)er ©title jein
Seben gu befd)ließen fid) vorgenommen batte.
Die ©eburt eines ©ohnes, beS Stachfolgers fei-
nes Slamens unb feiner £bitel, vermehrte n ch
fein ©lüd, jebod) vermochte bies alles ihn nicht
bauernb an ben einfamenlänbltchen Aufenthalt
gu feffeln; Gewohnheit unb bie verlodenten
Mtttheltungen fetner grunbe gogen ihn vielmehr
balt wieber tn bas alte Seben gurüd. Sr ließ
feine grau tn ©erneutl, oernachläßigtefie gäng-
lid) unb erft, als bie glammen feiner Setben-
fchafi unb©egierbenoollftänbigerlo|(hen waren,
fuchte er bte länbltche ©title unb in ihr feine
verlaffene ©atttn wteber auf. Dtefe, welche wie
fo tele grauen einem lurgen jonntaen 8le1>eS-
gliid bas ihres ^ergens gum Opfer gebracht, hat-
te in ber Mutterliebe einen erfafc für bie ger-
jtörten 3ugenbträume gefunben, unt bte er-
giehung ihteS ©ohneS gur aUeintgen Aufgabe
ihres Sehens gemaßt, etn 3ahr nad) ber Stüd-
febr ihres Mannes gebar fie nod) eine Tochter
unb fd)teb bann wenige Jage nachher ans einer
Sßelt, weiße fie jefet, ungeaßtete ber herben
läufßungen, bie ihr geworten, mit ©d>mer3
unb banget ©eforgniß erlteß. Anthrem ©arge
ftanb ber von Steue un ©ewiffensbijfen gequälte
©atte, weinte inftnblißer, fßmergvotler irauer
ihr jehniähriger Änabe, ber feinen ©ater bisher
faum gefannt unb on allen Menfßen allein bte
Xotte geliebt hatte.
3efet war biefer Jtnabe Äapitän in ber©arbe
bes Königs, unb bas jtinb, welches burd) feine
©eburt ber Mutttr ben Sob gebraßt, bas iunge
Mäbßen, beffen ©piel ber ©raf foeben juhörte.
„3ß Un gufrieben, Margot," fagte et,
naöjtem Re geenbet, „bu hfft bebeutenbe gort-
fßrttte gemaßt, obgletß iß biefe ernfte Mufti
" ebe. Du errätbft lalent unb foQteft es
fallen ©ie berarttaeS für ein iunges Mäbßen
bejonberS paffenb?"
Der Sehrer, ein tunger Mann von vieOeißt
fünfunbgwangig 3ahren, war bei biefer bireft
an ihn gertßtcten grage aufaeftanben unb blidte
ben ©rafen einen Augenbltd fßwetgenb an, ehe
er antwortete. „Stißt für alle iungen Damen,
6err ©raf," erwiterte er bann, „wohl aber für
3hr gräulein Soßter." — „Unb warum grabe
für meine Joßter?"—„Sßetl 3hr ürauleln Üoß'
ter ein 3U beteutenbes muflfalefßes Salcut ift,
um mit iener leißten, flingenben Mujif verbor
ben gu werben."—„3ß banfe für bas Äompll-
ment im Stamen metner Soßter, fo wenig fßmei-
ßelbaft 3bre Antwort auß für miß ausgefal-
len !"—Der iunge Mann blieb In fetner ernften
gemeffenen Haltung, ohne, auf biefe ©emerfung
tes ©rafen etwas gu erwtbern oter ftß gu ent-
fßultigen.
„Stun, mein bebeutenbes lalent," fuhr biefer
ba&er fort, „was fagft bu tenn felbjt, haji bu fei-
ne Stetgung gu letßter, fröhlißer Muftf ?" —
„9?ein, lieber ©ater," erfefcte b^S iunge Mäb-
eßit, intern fie ihren reigenben $opf naß hin-
ten beugte unb ihre großen braunen Augen beut
©rafen guwenbete, „miß fprtßt ernfte Mufif
mehr an, es ift mir immer, als wäre es eine ent-
wetbunfl ber jfunft, fie gur bloßen Dienorln ber
Suft unt beS©ßergeS gu maßen."—„Du bift eine
Jhören,Margot," fpraßber©rat,inbem er aus ei*
ner golbenenDofe eine?)rife©pantol nahm,„wenn
man biß reten hört, jollte man glauben, bu warft
eine alte grau, oter wenigflens eine von benen
bie ihre beften Jage hinter ftß haben,—währenb
bas ganje Seben mit all feinen Stetjen noß vor
bir liegt," fügte er mit einem ©eufjer binju.—
„§at 3hnen mein ©piel gefitüen, lieber ©a-
trr?" fragte Margot, intern fie aufftant unt an
ten ©effel trat, auf weißem ter ©raf tn auSge-
ftredter ©teüung mehr lag als faß. „©tauben
©te wirfliß, baß iß einige Anlage gur Muftf
babe?" — „Da fragft tu miß wirfliß gu viel,
Stärrßen," läßeite ter ©raf, intern er mit Sßobl-
gefallen tie gierltß fßlanfe ©eftalt unb bas an-
mnthige ©eftßt feiner locbter betraßtete; „tar-
über muß tir $err Aruaut Ausfunft geben.
Aber woju tiefe grage ?"—„3ß habe eine ©itte,
aber iß fürchte, ©ie werten mir jürnen." —
„Sßenn tu miß fo freunbliß anftehft, Margot,
werte iß tir nie jürnen, fonbern biß ftets "lie-
ben, mein Äinb. Aber ift es tenn etwas fo We-
fährlißes, warum bu miß bitten witlft ?"—„DjS
nicht, ©ater," erwiterte fie, intern fie tie langen
tunfein Sßimpern Ijerabjentte unt mit ten fiei-
nen jierlißen ganten verlegen an ten SQuaften
ihres ©ürrels gupfte,„ginj unt gar ntßt; ich
wollte ©ie nur bitten, mir ju erlauben, bafj iß
Drgel fpielen turfe."
„3ß hatte nad) tiefer feierlißen einleitung
wirfliß etwas Au^erovtentlißeS erwartet," lä*
djelte ter ©raf, „unt nicht geglanbt, taß es eine
bloße ihorl)eit wäre. Drgel jpicleu ! ein jun-
ges Mätßen oon fünfjehn fahren, noß ein
Jtint, wie tu eben bewiefen h^ft. ftß htnfeßen
unt mit ipänten unt ^iißen arbeiten, um—
nein, nein, Margot, fßlage tir tie tböriebten
©etanEen aus tem ©inn."—Das Mäbßen blieb
naß tiefer erwiterung ihres ©aters ohne ju
antworten ooribm flehen, aber ter ©ßmerg einer
getäufßten Hoffnung lag auf ihrem fßönen©e-
fißte unb eine ihräne jitterte an ten langen
Sßimpern ihrer nietergeißlagenen Augen. „Sßie
fannjt bu io thörißt feiu, Atiub ?" fuhr ter ©raf
fort, „wie fonnte überhaupt eine fo überfpannte
3bee th bir anffommen? 3ß hoffe nißt, Jperr
Arnaub, taß ©te taju ©eranlaffung gegeben
haben ?" — „3ß habe oerlußt, 3hr gräulein
loßter tie ©ßwierigfeiten, weiße ber ©er-
wirflißung biefeS Sßunfßes entgegen fteben,
flar ju maßen," antwortete ber ©efragte, „aber
es ift oergebliß gewefen."—„$aben ©ie §errn
Arnaut fßon Orgel fpielen boren, $apa ?"
fragteMargot, tnbem fie ftß bemühte, ihreAengft-
lißfeit gu untertrüden s „haben ©ie bie wun-
derbare ©ewalt biefeS göttlißen 3njtrumcntS
fßon empfunben, weißes alles In ftß vereinigt,
was ftß tn $önen austrüden läßt, bie güQe ber
Harmonie, ben ©efang ber menfßllßen ©tim-
men, tas Anfßwetlen ber Xöne bis gum faum
hörb iren $auß? Aß, iß flehe ©ie an, iß habe
©ie noß ntemals ernftliß um etwas gebeten,
fßlagen ©ie mir biefe ©itte nißt ab, ©ie wür-
ben miß fehr, febr betrüben."—
Slißt ohne erftaunen unb gugleiß mit unver-
fennbarem Sßohlgefaüen hatte ber ©raf biefe
ungewöhnliße Siebe feines &inbes angehört,
weißes ihm hier gum erjtenmale nicht mehr als
Äint, fonbern in tem 3auber jungfräultßer
©ßönheit unb C&rregtbeit erfßien, einer ein-
wirfung, ber er ftß felbft als ©ater nißt erweh-
ren fonnte. „SßaS ift tenn 3hre Anftßt über
tiefe fonberbare 3tce meines ÄtnteS?" wenbete
er ftß an ten Sehrer.- „Die Orgel, §err ©raf,"
erwiterte tiefer, „ift ein ernfteS, erhabenes 3n-
ftrument, nidst acfßaffen um einer ftüßtlaen
Steigung gur ©efrtetigung gu bieiten. Die Or-
gel vermag nur fromme unb gottgweihte em-
pftnbungen in Ionen gu oerförpem unb eignet
ftß baher nißt taju, oon jungen Dameu erlernt
gu werten, felbft wenn biejclbnt fo talenooll ftnb,
Wie 3hr gräulein loßter."—„$örjtbu es, Mar-
got?" fragte ber ©raf, inbem er bem Sehrer ei-
nen biüigenten ©lid guwarf; „bie Orgel paßt
fiß nißt für biß — fpreßen wiralfo von etwas
Anberem."—„©ie werten mir rnetne ©itte ben-
noß ntßt abfragen, tbeuerfter?>apa," bat Mar-
nißt De
burß
lonftüde tut
len ©ie feine antere
e, mepr in bas bas ©el)ör faüenbe
ltung bringen. fParum wah-
©tiide, ^err Arnaub?.
got wieber, inbem fte ihre Arme um jeinen $als
legte. „3ft es benn fo etwas Unerhörtes, baß ein
junges Mabdjen Orgel fptelt, wenn es Ihr ©er-
gnügen maßt, befonberS wenn bie ©erhältniffe
es fo ohne $interniffe geftatten ? 3n ber Äapeüe
bejtnbet ftß eine jßöne Orgel, ^err Arnaub
wirb mir ben ©efaden thun, miß gu unterriß
ten, unb wenn iß finbe, baß iß nidst befähigt
bin, fo fehren wir gum St aoier jurüd. Saffen
©ie mtd) es nut eine furje3eitoerfußen, 9hpa
iß werbe oiefleißt balb felbft baoon jurüdffom-
men.'
&
'**5
gortfefcung folgt..
Upcoming Pages
Here’s what’s next.
Search Inside
This issue can be searched. Note: Results may vary based on the legibility of text within the document.
Tools / Downloads
Get a copy of this page or view the extracted text.
Citing and Sharing
Basic information for referencing this web page. We also provide extended guidance on usage rights, references, copying or embedding.
Reference the current page of this Newspaper.
Dreimalwöchentliche Union (Galveston, Tex.), Vol. 8, No. 30, Ed. 1 Thursday, January 4, 1866, newspaper, January 4, 1866; Galveston, Texas. (https://texashistory.unt.edu/ark:/67531/metapth178213/m1/1/: accessed April 24, 2024), University of North Texas Libraries, The Portal to Texas History, https://texashistory.unt.edu; crediting The Dolph Briscoe Center for American History.